Einleitung
Darf ein Heilpraktiker Physiotherapie verordnen?
Diese Frage taucht immer wieder auf – in Praxen, bei Patient:innen und auch im Austausch unter Therapeut:innen. Doch sie führt häufig zu Missverständnissen, weil das Wort „verordnen“ in der medizinischen Praxis zwei Ebenen meint:
- Zum einen die fachliche Indikationsstellung, also die Entscheidung, dass eine bestimmte Therapie medizinisch notwendig ist.
- Zum anderen die Verordnung im Sinne eines Kassenrezepts, das von gesetzlichen Krankenkassen anerkannt und bezahlt wird.
Hier trennen sich medizinische Praxis und Abrechnungssysteme:
Heilpraktiker:innen – ob mit voller oder sektoraler Erlaubnis – dürfen Heilmittel wie Physiotherapie, Ergotherapie oder Logopädie sehr wohl verordnen.
Sie dürfen eine Diagnose stellen, eine Behandlung empfehlen und die therapeutische Durchführung fachlich verantworten. Was sie nicht dürfen: ein Heilmittel auf dem Formular verordnen, das zur Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung führt.
Dieser Artikel klärt, was Heilpraktiker:innen wirklich dürfen, was viele falsch verstehen – und was Patient:innen wie Therapeut:innen konkret wissen müssen, wenn sie sicher, verantwortungsvoll und selbstbestimmt handeln wollen.
Heilpraktiker und ihre Kompetenzen
Heilpraktiker:innen sind in Deutschland dazu befugt, die Heilkunde eigenverantwortlich und selbstständig auszuüben. Dieses Recht teilen sie sich ausschließlich mit approbierten Ärzt:innen – alle anderen Gesundheitsberufe, ob akademisch oder nicht, dürfen nur auf ärztliche Anordnung tätig werden.
Damit sind Heilpraktiker:innen – entgegen verbreiteter Vorstellungen – kein ergänzendes Angebot, sondern ein eigenständiger Teil des Gesundheitswesens mit klar definierter Rolle neben der ärztlichen Versorgung
Was das bedeutet:
Die Befugnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde ist rechtlich nicht allein an eine ärztliche Approbation gebunden. Auch das Heilpraktikergesetz schafft – mit eigenem Rechtsrahmen – einen klar geregelten Zugang zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Heilkundeausübung.
Wer die Heilpraktikererlaubnis erhält – sei es umfassend („große Heilpraktikererlaubnis“) oder auf ein bestimmtes Fachgebiet beschränkt (sogenannte sektorale Erlaubnis) – darf in diesem Rahmen Diagnosen stellen, Therapien einleiten und die Behandlung eigenverantwortlich durchführen – ohne ärztliche Anordnung oder Aufsicht.
Im Unterschied zu allen anderen Gesundheitsfachberufen, die auf ärztliche Verordnung angewiesen sind, verfügen Heilpraktiker:innen über die volle heilkundliche Handlungsfreiheit – innerhalb des jeweils genehmigten Bereichs. Diese umfasst sowohl die Indikationsstellung, also die Entscheidung, ob und welche Therapie notwendig ist, als auch deren Durchführung und fachliche Verantwortung.
Gerade dieser rechtliche Rahmen wird oft unterschätzt:
Ein sektoraler Heilpraktiker für Physiotherapie darf beispielsweise selbstständig feststellen, dass eine physiotherapeutische Behandlung notwendig ist – und sie daraufhin eigenverantwortlich durchführen. Ohne ärztliche Verordnung. Ohne Delegation.
Heilpraktiker:innen übernehmen damit die volle Verantwortung für Indikation, Behandlung und Verlauf – auf Basis ihrer eigener Befugnis. Diese Kompetenz ist klar geregelt und stellt eine der zentralen Abgrenzungen zu allen anderen Gesundheitsberufen dar.
Heilpraktiker und die Verschreibung von Heilmitteln
Ob Heilpraktiker:innen Heilmittel wie Physiotherapie verordnen dürfen, lässt sich nur mit Blick auf die rechtlichen Grundlagen eindeutig beantworten.
In Deutschland zählen Heilmittel – darunter etwa Anwendungen der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie – zu den Behandlungen, die nur nach einer medizinischen Verordnung durchgeführt werden dürfen. Das bedeutet: Eine Heilmitteltherapie wie Physiotherapie darf nicht eigenständig erbracht werden, sondern erst nach Verordnung durch eine zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde befugte Person.
Heilpraktiker:innen sind – je nach Art ihrer Erlaubnis – berechtigt, Heilmittel zu verordnen:
Wer eine umfassende Heilpraktikererlaubnis besitzt, darf Heilmittel grundsätzlich im Rahmen der Heilkunde eigenverantwortlich indizieren, vergleichbar mit der Befugnis approbierter Ärzt:innen. Bei sektoralen Heilpraktiker:innen beschränkt sich diese Befugnis hingegen auf das jeweilige Fachgebiet, für das die Erlaubnis erteilt wurde – beispielsweise Physiotherapie.
In beiden Fällen gilt: Die Verordnung erfolgt auf Basis eigenständiger Diagnostik und Indikationsstellung – unabhängig von ärztlicher Anordnung.
Wichtig ist: Diese Verordnung betrifft die medizinische Entscheidung über die Notwendigkeit einer Heilmittelbehandlung. Sie ist rechtlich gültig, auch wenn sie nicht zur Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenversicherung berechtigt.
Heilpraktiker:innen nehmen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle ein – insbesondere dort, wo Patient:innen keine ärztliche Verordnung wünschen oder erhalten, aber eine therapeutische Maßnahme medizinisch sinnvoll ist.
Kostenübernahme für verschriebene Heilmittel
Ob die Kosten für eine verordnete Heilmittelbehandlung übernommen werden, hängt in Deutschland in erster Linie vom jeweiligen Kostenträger ab.
Für gesetzlich Versicherte gilt: Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt Heilmittel wie Physiotherapie nur auf ärztliche Verordnung durch Vertragsärzt:innen. Die GKV ist ein öffentlich-rechtliches System, dessen Leistungen im Sozialgesetzbuch V (SGB V) klar geregelt sind.
Heilpraktiker:innen – ebenso wie rein privat tätige Ärzt:innen – sind nicht an das GKV-Abrechnungssystem angeschlossen. Ihre Verordnungen sind medizinisch gültig, aber nicht erstattungsfähig im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung.
Eine zunehmende Rolle spielen Zusatzversicherungen, die ergänzend zur gesetzlichen Krankenversicherung abgeschlossen werden. Viele dieser Tarife erstatten auch Leistungen von Heilpraktiker:innen oder auf deren Verordnung erbrachte Therapien – etwa Physiotherapie – bis zu einem vertraglich festgelegten Höchstbetrag pro Jahr. Für Patient:innen eröffnet sich damit ein flexibler Zugang zu naturheilkundlicher oder heilkundlich begründeter Therapie, ohne vollständig selbst zahlen zu müssen.
Bei privaten Krankenversicherungen richtet sich die Erstattungsfähigkeit nach dem individuellen Vertrag zwischen Patient:in und Versicherung. Die PKV basiert auf privatrechtlichen Versicherungsverträgen, deren Leistungen nicht gesetzlich einheitlich geregelt sind. Viele Tarife erkennen auch Verordnungen durch Heilpraktiker:innen an – sofern die medizinische Notwendigkeit dokumentiert ist. Entscheidend ist, was konkret im Vertrag vereinbart wurde.
Andere Kostenträger wie Beihilfe, freie Heilfürsorge oder Berufsgenossenschaften haben jeweils eigene Regelwerke, die von Bundes- oder Landesrecht oder internen Dienstvorschriften bestimmt sind.
Was gilt für Selbstzahler:innen?
Nicht alle Patient:innen erwarten eine Kostenübernahme durch Kassen oder Versicherungen – viele wählen bewusst eine direkte Gesundheitsleistung auf Selbstzahlerbasis. Auch bei Heilmitteln wie Physiotherapie ist das möglich – sofern eine medizinische Verordnung durch eine heilkundlich befugte Person vorliegt.
Die Behandlung erfolgt auf Basis eines zivilrechtlichen Behandlungsvertrags zwischen Therapeut:in und Patient:in, unabhängig davon, ob die verordnende Person Ärzt:in oder Heilpraktiker:in ist. Entscheidend ist allein, dass die heilkundliche Befugnis zur Verordnung der Leistung vorliegt.
Für viele Therapeut:innen bedeutet dieses Modell mehr Eigenverantwortung, für Patient:innen mehr Flexibilität, kürzere Wege und direkten Zugang zu qualifizierter Behandlung – ohne bürokratische Hürden. Gleichzeitig eröffnet es Therapeut:innen eine zusätzliche, wirtschaftlich attraktive Einnahmequelle – rechtssicher und fachlich fundiert.
Physiotherapie: Definition und Bedeutung
Physiotherapie ist ein zentraler Baustein moderner Gesundheitsversorgung. Sie unterstützt Patient:innen bei der Genesung nach Verletzungen, Operationen und neurologischen Ereignissen, verbessert die Lebensqualität bei chronischen Erkrankungen und leistet einen wichtigen Beitrag zur Prävention (sinngemäß nach ZVK.de).
Trotz der hohen Relevanz und zunehmenden Akademisierung ist der Beruf des Physiotherapeuten in Deutschland nicht mit einer Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde verbunden. Die Berufsausbildung erfolgt an staatlich anerkannten Berufsfachschulen und schließt mit einem Staatsexamen ab, das durch das jeweils zuständige Regierungspräsidium abgenommen wird. Erst danach wird die staatliche Berufserlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Physiotherapeut:in“ erteilt.
Ergänzend gibt es inzwischen akademische Studiengänge, die die physiotherapeutische Ausbildung um wissenschaftliche, diagnostische und spezialisierende Inhalte erweitern. An der grundsätzlichen heilkundlichen Begrenzung der Berufsausübung ändern sie jedoch nichts:
Ohne zusätzliche Heilkundeerlaubnis – etwa in Form der sektoralen Heilpraktikererlaubnis – dürfen Physiotherapeut:innen nicht eigenständig diagnostizieren oder eine Behandlung beginnen.
Wichtig: physiotherapeutische Behandlungen gehören zu den sogenannten "verordnungspflichtigen Heilmitteln". Das bedeutet: Physiotherapeut:innen dürfen nicht eigenständig tätig werden, sondern nur nach Anordnung durch eine zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde berechtigten Person. Diese Anordnung kann durch eine:n Arzt:in oder durch eine:n Heilpraktiker:in erfolgen.
Damit bleibt die selbstständige therapeutische Tätigkeit ohne vorherige Verordnung rechtlich ausgeschlossen – unabhängig von der fachlichen Kompetenz. Genau hier setzen sektorale Heilpraktiker:innen an: Sie durchbrechen diese Abhängigkeit und ermöglichen eine direkte, qualifizierte Versorgung ohne ärztliche Umwege.
Heilmittelerbringer
Heilmittelerbringer sind qualifizierte Fachpersonen im Gesundheitswesen, die nach einer geregelten Ausbildung eine staatliche Prüfung abgelegt und eine Berufserlaubnis erhalten haben. Dazu gehören zum Beispiel Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen oder Podolog:innen.
Sie dürfen Heilmittel anwenden – aber nicht eigenständig über deren Notwendigkeit entscheiden. Eine Behandlung ist nur zulässig, wenn zuvor eine heilkundlich befugte Person – wie eine Ärztin oder ein Heilpraktiker – die Indikation gestellt und die Behandlung verordnet hat.
Das gilt unabhängig davon, ob es sich um gesetzlich oder privat Versicherte handelt. Auch im Selbstzahlermodell muss eine medizinische Verordnung vorliegen, damit die Tätigkeit des Heilmittelerbringers rechtlich zulässig ist.
Im GKV-System ist zudem eine Kassenzulassung erforderlich, damit Leistungen abgerechnet werden können. Diese ist an spezifische Voraussetzungen gebunden, etwa die Einhaltung der Heilmittel-Richtlinien und Zulassungsverträge mit den Krankenkassen.
Gruppen von Heilmitteln
In der Heilmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sind die anerkannten Heilmittelgruppen definiert. Diese Richtlinie bildet die Grundlage für Verordnungsfähigkeit und Abrechnung im GKV-System. Auch wenn die Heilmittelgruppen ursprünglich für das GKV-System definiert wurden, haben sie sich in der Praxis als Standard etabliert – und finden sich heute auch in vielen privatärztlichen, heilpraktischen und selbstzahlenden Versorgungsmodellen wieder.Die Einordnung nach diesen Gruppen schafft Transparenz und Vergleichbarkeit – unabhängig vom jeweiligen Kostenträger.
Die wichtigsten Heilmittelgruppen sind:
- Physiotherapie: z. B. Krankengymnastik, manuelle Therapie, Massagen, Elektro- und Wärmebehandlungen
- Ergotherapie: Maßnahmen zur Verbesserung motorischer, kognitiver und alltagspraktischer Fähigkeiten
- Logopädie / Sprachtherapie: Behandlung von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen
- Podologie: Medizinische Fußpflege bei bestimmten Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus)
- Ernährungstherapie: Bei bestimmten Diagnosen auch als Heilmittel anerkannt (z. B. Mukoviszidose, Adipositas bei Kindern)
- Atemtherapie: Bestandteil der Physiotherapie, z. B. bei COPD, Asthma, Long-COVID
Fazit
Heilpraktiker:innen in Deutschland – ob mit umfassender oder sektoraler Erlaubnis – sind dazu befugt, Heilmittel wie Physiotherapie medizinisch zu verordnen. Sie verfügen über die gesetzliche Berechtigung zur eigenverantwortlichen Ausübung der Heilkunde und dürfen auf dieser Basis selbstständig Diagnosen stellen und Therapien einleiten. In Bezug auf die Indikationsstellung stehen sie damit Ärzt:innen gleich.
Die Kostenübernahme durch Krankenversicherungen richtet sich jedoch nach dem jeweiligen System:
Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Verordnung von Heilmitteln ausschließlich Vertragsärzt:innen vorbehalten. Im Bereich der privaten Krankenversicherung oder durch Zusatzversicherungen kann eine Verordnung durch Heilpraktiker:innen erstattungsfähig sein – abhängig vom gewählten Tarif. Bei Selbstzahler:innen erfolgt die Behandlung rechtssicher auf Basis eines Behandlungsvertrags.
Gerade für Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen und andere medizinische Heilmittelerbringer eröffnet die sektorale Heilpraktikererlaubnis neue Möglichkeiten: Sie ermöglicht die medizinisch fundierte, eigenverantwortliche Behandlung – ohne ärztliche Verordnung und ohne rechtliche Grauzonen. Das stärkt nicht nur die therapeutische Autonomie, sondern erweitert auch das berufliche Handlungsspektrum und das wirtschaftliche Potenzial.
FAQ
Kann ein Heilpraktiker Physiotherapie verordnen?
Ja. Heilpraktiker:innen – sowohl mit großer als auch mit sektoraler Erlaubnis – dürfen im Rahmen ihrer Befugnis selbstständig eine medizinische Indikation stellen und Heilmittel wie Physiotherapie verordnen. Diese Verordnung ist medizinisch gültig, auch wenn sie nicht zur Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenkasse berechtigt.
Wird eine Verordnung durch Heilpraktiker:innen von der Krankenkasse bezahlt?
In der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Heilmittel dürfen dort ausschließlich auf Verordnung von Kassenärzt:innen (formal: Vertragsärzt:innen) abgerechnet werden. Verordnungen durch Heilpraktiker:innen – ebenso wie durch privatärztlich tätige Personen – sind zwar medizinisch gültig, werden von der GKV jedoch nicht anerkannt. In der privaten Krankenversicherung oder mit Zusatzversicherung kann eine Verordnung durch Heilpraktiker:innen erstattungsfähig sein – je nach individuellem Vertrag.
Kann ich als Physiotherapeut:in ohne ärztliche Verordnung behandeln?
Nur, wenn du selbst eine Heilkundeerlaubnis besitzt – zum Beispiel als sektorale:r Heilpraktiker:in für Physiotherapie. Alternativ kann auch eine Verordnung durch eine andere heilkundlich befugte Person erfolgen – etwa durch eine:n Kolleg:in mit sektoraler Heilpraktikererlaubnis im gleichen Fachbereich. Ohne Heilkundeerlaubnis darfst du nicht eigenverantwortlich behandeln.
Was ist der Unterschied zwischen einer ärztlichen und einer heilpraktischen Verordnung?
Der Unterschied betrifft vor allem das Abrechnungsrecht innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung: Nur Verordnungen durch Kassenärzt:innen sind dort erstattungsfähig. Privatärztliche und heilpraktische Verordnungen sind zwar medizinisch gültig, werden jedoch nicht von der GKV anerkannt. In Bezug auf die Indikationsstellung sind sie gleichwertig – vorausgesetzt, die heilkundliche Befugnis ist vorhanden.
Was bringt mir die sektorale Heilpraktikererlaubnis als Therapeut:in?
Sie erlaubt dir, im Rahmen deines Fachgebiets selbstständig Diagnosen zu stellen, Heilmittel zu verordnen und die Behandlung eigenverantwortlich durchzuführen. Damit kannst du auch Selbstzahler:innen rechtssicher behandeln – ohne ärztliche Verordnung und ohne Abhängigkeit von Delegation.